'Wer früher stirbt ist länger tot' läuft
an diesem Nachmittag.
Bei kühlem Regenwetter kommen sie gern ins warme Kino:
junge Mütter und Väter mit ihrem Säugling
im Kinderwagen oder im Tragetuch, die Kleinfamilie manchmal
erweitert durch die Großeltem, oft Alleinerziehende,
auch mal ein Paar ohne Kinder oder Enkel, zwei befreundete
Eltern mit Kind und Kegel. Sonntags sind auffallend viele
Väter da, mittwochs eher Mütter. Und da war auch
schon mal ein Krabbelkind dabei, dem auf einer Decke zwischen
den Sitzreihen Raum gegeben wurde und das während der
Filmvorführung verfolgt und zurückgeholt werden
mußte. So bewegen sich schon mal die Erwachsenen oder
ein älteres Geschwisterkind in den langen, leicht gebogenen
Reihen des Babylon auf allen Vieren. Zu beiden Seiten der
Stuhlreihen werden unruhige Säuglinge auch eine Weile
vor- und zurückgefahren, während die Mutter nicht
den Blick von der Kinoleinwand läßt und in aller
Ruhe die leichte Steigung rückwärts zurücklegt.
Das ist allerdings nur im großen Saal möglich.
Da parken die Kinderwagen hintereinander an der Wand entlang
und es ist noch genug Platz zum einschläfernden Fahren.
An diesem Nachmittag findet die Vorstellung
im kleinen Saal, dem Studio, statt. Im nu ist der Raum gefüllt,
der Gang von den Wagen verstellt. Verschiedenste Altersstufen
sind vertreten. Es wird geraschelt und geknuspert und ein
Eis geschleckt, während die Jüngsten gestillt
oder mit der Nuckelflasche versorgt werden. Eines muß
doch noch schnell gewickelt werden, bevor der Film losgeht
- noch mal schnell hochgenommen und gekuschelt werden...
danach soll es möglichst einschlafen.
Das Licht geht aus. Es ist aber nicht stockdunkel
wie sonst üblich. Die Lautstärke ist etwas reduziert
wegen der jungen Ohren. Ob die Älteren genug verstehen?
Wohl doch - und sie fühlen sich nicht gestört
durch die Kindergeräusche. Manchmal weint ein Säugling
oder eines der Geschwister ruft oder lacht laut.
Während dieses Films, in dem die Hauptrolle
von einem Jungen im frühen Schulalter gespielt wird,
kam es vor, dass ich mich ins Kasperletheater versetzt fühlte.
Es waren nämlich wegen dieses Films von Rosenmüller
nicht nur Säuglinge da. Die etwas älteren Kinder
gingen mit ihren Emotionen laut mit und die Kleinstkinder
spielten intuitiv mit, so dass es zum An - und Abschwellen
der Geräusche kam. Das Konzert zum Film war oft äußerst
passend. Da mußten die Erwachsen trotz der Faszination,
die der Film ausübte, über das Nebenspiel lachen.
Hätte ich doch ein Aufnahmegerät
bei mir und nicht nur den Fotoapparat.
Die bayerische Sommerlandschaft auf der Kinoleinwand
beruhigte. Die Säuglinge schliefen wieder.
Der Film von Rosenmüller an diesem Ort,
an diesem Nachmittag, mit diesem Publikum war ein Ereignis.
Ich konnte es gespiegelt sehen in den freudigen und zufriedenen
Gesichtern. Da störte für eine Weile auch der
Regen nicht. Die Kinderwagen fuhren in die verschiedenen
Richtungen über den Rosa-Luxemburg-Platz oder in die
Hirtenstraße.
Berlin, 19.3.07G.
Ebert
|